„Unser Friedrich“ – der 1. Europäer? Die Staufer in der populären Geschichtskultur seit den 1970er Jahren (2024)

von Isabelle Luhmann · Veröffentlicht · Aktualisiert

1000 Worte Forschung: Laufendes Dissertationsprojekt an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau, Neuere, Neueste Geschichte

Die Erinnerung an die Staufer war vor allem im 19. und 20. Jahrhundert zentraler Bestandteil der deutschsprachigen Geschichtskultur. Diese Rezeptionen der Stauferzeit sind bereits ausführlich betrachtet worden, etwa mit der Analyse der Interpretation der staufischen Herrscher als tragisch gescheiterte Helden in den Dramen der Romantik oder der Einschreibung der Kyffhäusersage in den Kanon deutschen Kulturguts durch die Gebrüder Grimm. Auch die Deutungen der Reichsgründung 1871 als Vollendung des staufischen Vermächtnisses ist bereits gut erforscht. Und schlussendlich die Auslegung der Stauferherrschaft als ein germanisch-völkisches Reich durch die Nationalsozialisten, welche die Neuordnung Europas durch die deutsche Nation historisch begründete.1

Mit der Niederlage des Zweiten Weltkriegs verschwanden appellative, nationale Berufungen auf die „eigene“ Geschichte aus dem öffentlichen Bewusstsein und die Staufer hatten als politisch-legitimierender Mythos ausgedient. Ihre Herrschaftszeit „wurde zur Vorgeschichte mit bestenfalls antiquarischem Interesse“.2

Doch auch nach 1945 haben die Staufer ihren festen Platz im deutschen Geschichtsbewusstsein nicht gänzlich eingebüßt. Sie existierten weiter in einem „dauerhaften, wenn auch vielfach diffusen historischen Bewußtsein.“3 Sich von nationalen Geschichtsdeutungen distanzierend erfolgt die jüngste Auseinandersetzung mit den Staufern in der deutschsprachigen Geschichtskultur oftmals in transnationalen, regionalen und lokalen Dimensionen und im Bereich der populären Medien.4 Diese rezenten Rezeptionen sind jedoch bislang unerforscht.

Diese Lücke schließt das Dissertationsprojekt. Ziel ist die Erforschung staufischen Gedenkens auf verschiedenen räumlichen Erinnerungsebenen in unterschiedlichen Medien der Populärkultur des ausgehenden 20. und frühen 21. Jahrhunderts sowie den divergierenden gesellschaftlichen Funktionen dieser Geschichtsinterpretationen.

Folgende Fragen stehen dabei im Zentrum der Untersuchung:

  • Wie wird die staufische Geschichte jeweils dargestellt – welche Facetten werden zu welchem Zeitpunkt bevorzugt thematisiert?
  • Was für Narrative lassen sich aus den Darstellungen herausarbeiten? Gibt es nationale/europäische/regionale und lokale Erzählweisen der Staufer? Und wenn ja, wie konkurrieren diese miteinander?
  • Wie unterscheiden sich die divergierenden Darstellungen auf den räumlichen Ebenen und in den verschiedenen Medien?
  • Welche Rückschlüsse lassen sich aus den jeweiligen Darstellungen der staufischen Vergangenheit auf die Funktionen von Geschichte ziehen und wie ändern sich diese mit den sich wandelnden Verhältnissen vor Ort?

Als Beispiele für staufische Geschichtsinterpretationen in populären Medien der Geschichtskultur werden zwei historische Ausstellungen und zwei Stauferstädte intensiv analysiert. Ausstellungen sind bereits fester Bestandteil der geschichtskulturellen Forschung. Durch die Städte können staufische Geschichtsdarstellungen in touristischen, performativen und anderen Medien der städtischen Geschichtskultur untersucht werden. So werden dem traditionellen Medium der Ausstellungen neuere, bislang eher stiefmütterlich behandelte Formen der populären Geschichtskultur gegenübergestellt. In einem kontextualisierenden Kapitel werden andere Genres wie historische Romane, Filme und Computerspiele zu ihren staufischen Geschichtsdarstellungen überblicksartig befragt, auch um die herausgearbeiteten Fallbeispiele besser bewerten zu können.

Konkret werden die zwei großen historischen Ausstellungen „Die Zeit der Staufer. Geschichte – Kunst – Kultur“ von 1977 und die Mannheimer Schau „Die Staufer und Italien. Drei Innovationsregionen im mittelalterlichen Europa“ von 2010/2011 untersucht.

Die Stuttgarter Ausstellung fand anlässlich des 25jährigen Landesjubiläums Baden-Württembergs statt, Schirmherr war der Bundespräsident. Sie wird in der Rückschau als die Geburtsstunde der historischen Ausstellungen bewertet, über die in der BRD ein neues Interesse an der ‚eigenen‘ Geschichte entfacht wurde.5 Auch die Mannheimer Ausstellung von 2010/2011 kann als Erfolg bezeichnet werden, zählt sie doch zu den zehn einträglichsten Mittelalterausstellungen seit 1977. Schirmherrschaft hatte hier die europäische Metropolregion Rhein-Neckar.6

Für den Umgang mit der staufischen Geschichte in Stauferstädten werden Göppingen und Schwäbisch Gmünd betrachtet. Göppingen wirbt mit dem Slogan „Hohenstaufenstadt“, da der Stammsitz der Staufer auf dem Hohenstaufen innerhalb der Stadtgrenzen liegt. Schwäbisch Gmünd beruft sich heute im Stadtmarketing auf das Attribut „Älteste Stauferstadt“. Beide Städte kennzeichnet ein starkes staufisches Geschichtsbewusstsein, das über verschiedene Medien präsentiert wird.

Zur Untersuchung des Stauferbildes in den Expositionen dienen vor allem die Ausstellungskataloge, des Weiteren archivalische Bestände der Ausstellungshäuser und des Staatsarchivs Ludwigsburg. Bei beiden Ausstellungen wurden außerdem Telefoninterviews mit den KuratorInnen geführt.

Die Analyse der Stauferdarstellungen in den Städten erfolgt durch verschiedenste Quellen: Klassisches Archivmaterial wie Zeitungsartikel, Sitzungsprotokolle, Korrespondenzen und ältere Broschüren; Quellen der staufischen Vereine beider Städte; Broschüren des Stadtmarketings und deren Internetseiten sowie selbst generierte Fotos; Interviews und Protokolle der teilnehmenden Beobachtung performativer staufischer Rezeptionen wie das Theaterstück „Staufersaga“, das 2016 in Schwäbisch Gmünd aufgeführt wurde.

Untersucht wird die staufische Geschichtskultur für den Zeitraum ab ca. den 1970ern bis in die Gegenwart. Der Schwerpunkt liegt zum einen auf den Ausstellungsjahren 1977 und 2010/2011 – auch die Untersuchungsstädte nahmen die Ausstellungen zum Anlass, sich ihrem staufischen Erbe zu widmen, weswegen die Quellenlage recht ergiebig ist. Zum anderen auf den Jahren 2016/2017, da hier aktuelle Angebote zur staufischen Geschichte besucht werden konnten.

Mit den untersuchten Beispielen werden die Rezeptionen staufischer Geschichte auf verschiedenen räumlichen Erinnerungsebenen analysiert: Die lokale Untersuchungsebene umfasst die Stauferstädte. Die beiden Ausstellungen haben vor allem einen regionalen Fokus, wobei die Mannheimer Ausstellung darüber hinaus in abgewandelter Form auch in Palermo zu sehen war. Das Hauptaugenmerk der transnationalen Untersuchungsebene wird jedoch auf den Stauferstädten liegen, indem die mit ihren italienischen Kooperationspartnern gemeinsam geschaffene staufische Geschichtskultur analysiert wird.

Das Dissertationsprojekt gibt somit Auskunft über die rezenten Formen staufischer Erinnerung in einer bislang so nicht erforschten medialen und räumlichen Breite. Über die Stauferforschung hinaus wird auf diesem Wege auch ein Beitrag zu einem besseren Verständnis gegenwärtiger geschichtskultureller Bedürfnisse und damit einem reflektierteren Geschichtsbewusstsein im Allgemeinen geleistet.

D O W N L O A D

(PDF/A-Version)

Empfohlene Zitierweise/Suggested Citation: Isabelle Luhmann, „Unser Friedrich” – der 1. Europäer? Die Staufer in der populären Geschichtskultur seit den 1970er Jahren, in: Mittelalter. Interdisziplinäre Forschung und Rezeptionsgeschichte 1 (2018), S. 88-91, https://mittelalter.hypotheses.org/12128.

Diesen Blogbeitrag zitieren
Isabelle Luhmann (2018, 27. Februar). „Unser Friedrich“ – der 1. Europäer? Die Staufer in der populären Geschichtskultur seit den 1970er Jahren. Mittelalter. Abgerufen am 13. Juni 2024, von https://doi.org/10.58079/rh2w

„Unser Friedrich“ – der 1. Europäer? Die Staufer in der populären Geschichtskultur seit den 1970er Jahren (1)

Isabelle Luhmann

Studierte die Fächer Geschichte, Biologie und Deutsch auf Staatsexamen an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg. In dieser Zeit als Museumspädagogin und Wissenschaftliche Hilfskraft im Universitätsarchiv tätig. Über das studentische Interesse am Mittelalter entwickelte sich die Motivation zur Erforschung von Mittelalterrezeptionen in den verschiedensten Medien der Populärkultur, der sie seit 2015 in Form eines Promotionsprojekts nachgeht.

More Posts - Website

Follow Me:
„Unser Friedrich“ – der 1. Europäer? Die Staufer in der populären Geschichtskultur seit den 1970er Jahren (2)

  1. Gute Einblicke geben beispielsweise: Klaus Schreiner, Friedrich Barbarossa – Herrscher, Held und Hoffnungsträger: Formen und Funktionen staufischer Erinnerungskultur im 19. und 20. Jahrhundert, in: Von Palermo zum Kyffhäuser. Staufische Erinnerungsorte und Staufermythos, hrsg. von Gesellschaft für staufische Geschichte e.V. (Schriften zur staufischen Geschichte und Kunst 31), Göppingen 2012, S.97–128; Klaus Graf, Der Mythos der Staufer – eine schwäbische Königsdynastie wird erinnert und instrumentalisiert, in: Schwäbische Heimat 61 (2010), S.296–306; Thomas Brune und Bodo Baumunk, Wege der Popularisierung, in: Die Zeit der Staufer. Geschichte – Kunst – Kultur. Katalog der Ausstellung Stuttgart 1977, Württembergisches Landesmuseum, hrsg. von Reiner Hausherr, 5 Bde., Stuttgart 1977, Bd. 3, S.327–335; Knut Görich, Konjunkturen eines Geschichtsbildes – das Beispiel Friedrich Barbarossa, in: Geschichte für heute 4 (2015), S.34–49. []
  2. Gerd Althoff, Das Mittelalterbild der Deutschen vor und nach 1945. Eine Skizze, in: Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw, hrsg. von Paul-Joachim Heinig (Historische Forschungen 67), Berlin 2000, S.731–750, Zitat S. 745. []
  3. Bernd Schneidmüller, Konsens – Territorialisierung – Eigennutz. Vom Umgang mit spätmittelalterlicher Geschichte, in: Frühmittelalterliche Studien 39 (2005), S.225–246, Zitat S. 228. []
  4. Vgl. Brune/Baumunk, Wege der Popularisierung (wie Anm. 1), S. 331f.; Görich, Konjunkturen (wie Anm. 1), S.47. []
  5. Vgl. Aleida Assmann, Geschichte im Gedächtnis. Von der individuellen Erfahrung zur öffentlichen Inszenierung, München 2007, S. 137. []
  6. Diese konstituiert sich aus den Bundesländern Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen. Vgl. Die Staufer und Italien. Drei Innovationsregionen im mittelalterlichen Europa. Bd. 2, Objekte, hrsg. von Bernd Schneidmüller, Stefan Weinfurter und Alfried Wieczorek (Publikationen der Reiss-Engelhorn-Museen 37), Darmstadt 2010, S. 6. []
„Unser Friedrich“ – der 1. Europäer? Die Staufer in der populären Geschichtskultur seit den 1970er Jahren (2024)
Top Articles
Latest Posts
Article information

Author: Domingo Moore

Last Updated:

Views: 6542

Rating: 4.2 / 5 (73 voted)

Reviews: 88% of readers found this page helpful

Author information

Name: Domingo Moore

Birthday: 1997-05-20

Address: 6485 Kohler Route, Antonioton, VT 77375-0299

Phone: +3213869077934

Job: Sales Analyst

Hobby: Kayaking, Roller skating, Cabaret, Rugby, Homebrewing, Creative writing, amateur radio

Introduction: My name is Domingo Moore, I am a attractive, gorgeous, funny, jolly, spotless, nice, fantastic person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.